Schreckgespenst Hallux valgus: Wie der lästige Ballenzeh entsteht, was High Heels damit zu tun haben und warum es sich in jedem Alter lohnt, mit den Füßen zu spielen.
Ob die Stiefschwestern von Aschenputtel einen Hallux valgus hatten und ihre Füße deshalb nicht in den gläsernen Schuh gepasst haben, ist nicht überliefert. Fest steht, dass einem die Fehlstellung der Großzehe das Leben ganz schön vermiesen kann, auch wenn man keine Prinzessin werden möchte. Wer sich trotz Ballenzeh in High Heels zwängt, erfährt am eigenen Leib, was es mit dem Spruch „Wer schön sein will, muss leiden“ auf sich hat.
Typisch für den Hallux valgus, der im Volksmund auch „Frostballen“ genannt wird, ist das Abweichen der Großzehe nach außen zu den anderen Zehen. Verstärkt wird diese Verlagerung der Großzehe durch ein Auseinanderweichen der Mittelfußköpfchen, wodurch der typische Ballen entsteht. Gleichzeitig kommt es zum Abrutschen der Zehenbasis Richtung andere Zehen und damit zusätzlich zu einer veränderten Zugrichtung der Sehnen. Das Auseinanderweichen der Mittelfußköpfchen nennt man Spreizfuß. Das Vorfußquergewölbe sinkt beim Spreizfuß ab und der Vorfuß wird dadurch breiter. So gut wie immer tritt ein Hallux valgus in Kombination mit einem Spreizfuß auf.
Füße: Zahlen & Fakten
Egal, welche Form unser Füße haben – im Durchschnitt tragen sie uns ca. 6.000 Schritte pro Tag durch das Leben. Geht man von einer Schrittlänge von 0,7 Metern aus, so hat man in einem 80-jährigen Leben ganze 122.640 Kilometer zu Fuß zurückgelegt.
Jeder Fuß liefert dem Gehirn über etwa 200.000 Nervenenden Informationen. Es wird geschätzt, dass Hallux valgus etwa 23–35 % der erwachsenen Bevölkerung betrifft.
So kommt’s zum Hallux valgus
Doch was sind die Ursachen für diese weit verbreiteten Fußfehlstellungen? Ist wirklich nur das falsche Schuhwerk schuld und hat man die Gesundheit der Füße somit quasi selbst in der Hand? „Es gibt nicht den einen Grund für den Hallux valgus, sondern es sind viele Faktoren, die zusammenwirken“, erklärt Prim. Dr. Vinzenz Auersperg, Leiter der Abteilungen für Orthopädie und orthopädische Chirurgie am Pyhrn-Eisenwurzen-Klinikum Kirchdorf Steyr.
Einer der Risikofaktoren ist das Geschlecht, denn Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Verantwortlich dafür scheint das Bindegewebe zu sein, das bei Frauen anders aufgebaut und somit weniger fest ist. Auch die Gene spielen eine Rolle: „Es gibt durchaus eine genetische Veranlagung dafür, was nicht bedeutet, dass die Fehlstellung der Großzehe sich vererbt, sondern dass die äußeren Bedingungen wie enge Schuhe oder hohe Absätze bei manchen Menschen leichter zu einem Hallux valgus führen können“, so der Experte. Richtig unangenehm wird es, wenn zur Fehlstellung auch noch eine Arthrose, also eine Abnützung des Gelenkes, dazukommt.
Zum Problem wird der Hallux valgus dann, wenn sich durch die Vorwölbung des Mittelfußköpfchens der Druck im Schuh erhöht. Die dabei entstehenden Schmerzen werden in der Medizin als „Schuhkonflikt“ bezeichnet. Besonders das Tragen von engen und/oder hohen Schuhen wird für Betroffene zur Qual. Da hilft nur der Wechsel zu bequemen und im Vorfußbereich möglichst breit geschnittenen Modellen. Es gibt jedoch auch Erkrankungen, die verhindern, dass die durch den Hallux verursachten Schmerzen wahrgenommen werden können.
Fehlstellungen vorbeugen, Schmerzen lindern
„Bewegen, bewegen, bewegen!“ lautet das Motto, wenn es um gesunde Füße geht. Die Fußmuskulatur in Bewegung zu bringen ist die erste und wichtigste Maßnahme im Kampf gegen schmerzhafte Fußfehlstellungen. Schon in der Kindheit sollte mit der Stärkung der Fußmuskulatur begonnen werden. Am einfachsten klappt das, wenn Kinder möglichst oft barfuß gehen und sich spielerisch mit ihren Füßen auseinandersetzen. Besonders wirksam sind Geschicklichkeitsübungen mit den Zehen.
So kann man etwa versuchen, mit den Zehen zu schreiben, einen Stift zu fassen oder eine Murmel aufzuheben. Übungen wie diese machen Spaß und trainieren ganz nebenbei die intrinsische Muskulatur, also die Muskulatur im Fuß. Im Erwachsenenalter kann Fußgymnastik, die unter professioneller Anleitung erlernt und dann zu Hause praktiziert wird, bereits bestehende Beschwerden abschwächen.
Bei der Wahl des Schuhwerkes hat der Orthopäde eine klare Empfehlung: „Enge, spitze und hohe Schuhe meiden! Ob das modisch den Geschmack trifft, ist ein Thema, das man mit seinen Schmerzen ausmachen muss.“ Nachdem der Hallux valgus praktisch immer in Verbindung mit einem Spreizfuß auftritt, helfen sehr häufig Einlagen, die das Quergewölbe etwas anheben und den Druck am Fuß so umverteilen, dass die Schmerzen reduziert werden. Häufig reichen Einlagen, um die Beschwerden zu lindern, ein Maßschuh ist bei Hallux valgus selten nötig.
Hilfreich sind auch kleine Pölsterchen aus Silikon, die zwischen den Zehen getragen werden und dafür sorgen, dass die Großzehe in der geraden Stellung gehalten wird. Nicht immer lässt sich das Fortschreiten der Fehlstellung durch diese konservativen Maßnahmen verhindern.
Wann sollte operiert werden?
„Schmerz ist ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung, ob man sich operieren lassen sollte oder nicht“, erklärt der Experte. Neben dem Schmerz ist das Ausmaß der Fehlstellung ein Kriterium, um sich für einen chirurgischen Eingriff zu entscheiden: Je stärker die Fehlstellung, desto weniger führen Einlagen und andere Hilfsmittel zur gewünschten und dauerhaften Besserung der Beschwerden. Nicht zu vernachlässigen ist das Thema Ästhetik. Entspricht das Aussehen der Füße durch die Fehlstellung nicht den eigenen Erwartungen und Wünschen, sind Betroffene eher bereit, diese operativ korrigieren zu lassen. Eine Sonderstellung nehmen Betroffene mit Polyneuropathie ein: Wird aufgrund des gestörten Schmerzempfindens zu spät operiert, kann sich das negativ auf das Ergebnis der Operation auswirken.
Tipp vom Experten: Wenn die Schmerzen „fehlen“
Prim. Dr. Vinzenz Auersperg:
„Die Polyneuropathie ist eine Krankheit der Nerven, bei der die Reizweiterleitung gestört ist und die Sensibilität abnimmt. Das kann so weit gehen, dass die Haut geschädigt wird und Wunden entstehen, ohne dass dabei Schmerzen empfunden werden. Sie wird gehäuft bei Menschen mit Diabetes und nach Chemotherapien beobachtet, sie kann jedoch auch ohne andere Ursachen auftreten. Eine regelmäßige Fußpflege und eine entsprechende Schuhversorgung sind daher bei Menschen mit Polyneuropathie ein Muss.“
So erfolgt der Eingriff
Wer sich für einen Eingriff entscheidet, muss mit einem stationären Aufenthalt von ein bis zwei Nächten rechnen, teilweise wird die OP auch an Tageskliniken durchgeführt. Ob Vollnarkose oder Leitungsanästhesie ist Geschmackssache. Korrigiert wird die Fehlstellung meist durch eine Umstellung am Mittelfußknochen der Großzehe. Diese Achskorrektur erfolgt durch einen „künstlichen“ Knochenbruch. Um die neue Position zu halten, kommen unterschiedliche Schrauben und Platten zum Einsatz. Fast immer sind zusätzliche Maßnahmen der Weichteile im Bereich des Großzehengrundgelenks notwendig. Liegt eine Arthrose vor, kann es erforderlich sein, Gelenke mit Schrauben und/oder Platten zu fixieren und so Gelenke zu versteifen. Zusätzliche Eingriffe, beispielsweise bei Krallen- oder Hammerzehen, werden häufig in Zuge der Hallux-OP durchgeführt.
Wie schnell man nach dem Eingriff wieder seine gewohnten Wege gehen kann, ist individuell unterschiedlich und hängt vom Ausmaß der Umstellung ab. „Knochen brauchen Zeit, um zu heilen. Man kann es mit einem Knochenbruch vergleichen“, berichtet Auersperg. Während der Knochenheilungsphase empfiehlt sich, für rund sechs Wochen einen sogenannten Vorfußentlastungsschuh zu tragen. Er verhindert, dass beim Gehen zu viel Druck auf den Mittelfuß ausgeübt wird. Wird mehr Stabilität im operierten Fuß gebraucht, kann anstatt des Therapieschuhs ein Gips („Gipspatscherl“ oder „Geisha-Schuh“) erforderlich sein.
Durch häufiges Hochlagern des Fußes können in der Zeit nach dem Eingriff Schwellungen und damit einhergehende Schmerzen verhindert werden. Ist der Gips ab bzw. muss der Therapieschuh nicht mehr getragen werden, sollten am Beginn Schuhe gewählt werden, die nicht zu eng sind und eine feste Sohle haben, damit das Abrollen des Fußes etwas eingebremst wird. Das anfangs ungewohnte Gefühl beim Gehen sollte sich von Woche zu Woche normalisieren. „Auch nach Monaten kann es sein, dass man den operierten Fuß noch spürt, Schmerzen sollten jedoch nicht mehr auftreten“, erläutert der Orthopäde abschließend.