Eine ernste Diagnose kann vielfältige Ängste und Gefühle auslösen. Genauso wie die Erkrankung selbst die körperliche Gesundheit beeinträchtigt, kann sie auch eine Vielzahl von Gefühlen hervorrufen, die man so vorher vielleicht gar nicht kannte. Dr. Bärbel Klepp erklärt im Interview, wie man seine Handlungskompetenz wiedererlangt und worauf es jetzt besonders ankommt.
Jedes Jahr erkranken in Österreich allein 45.000 Menschen an Krebs, 2030 könnten es schon 50.000 Neudiagnosen sein. Mehr als 130.000 Menschen in Österreich leben mit einer Demenz-Erkrankung, Tendenz ebenfalls steigend. Die Zahlenspiele ließen sich unendlich fortführen. Viele Menschen kennen also diesen alles verändernden Moment einer ernsten Diagnose. Dr. Klepp ist psychosoziale Case Managerin und begleitet Patient:innen durch schwere Zeiten.
Eine Schockdiagnose. Was bedeutet das für ein Individuum? Welche Gefühle müssen „gemanagt“ werden?
Manche Patient:innen beschreiben ihre Erfahrung mit den Worten: Schock, Panik, Fassungslosigkeit, den Boden unter den Füßen verlieren, in ein großes schwarzes Loch fallen oder einen Sturz in den Abgrund. Viele Patient:innen schildern, dass sie so belastet sind, dass sie keinen klaren Gedanken fassen können. Manche erleben auch eine große Wut oder ein Gefühl der Ungerechtigkeit.
Wie unterstützen Sie solche Patient:innen?
Es ist wichtig, all diesen Gefühlen Raum zu geben – sie sind normal und dürfen da sein. Es geht aber auch darum, aus diesem „Panikmodus“ herauszukommen. Ein nächster Schritt ist, Klarheit über die eigenen Möglichkeiten zu erlangen. Dies kann zum Beispiel bedeuten, ein Arztgespräch strukturiert vorzubereiten, um jene Informationen zu erhalten, die ihnen für eine Entscheidungsfindung noch fehlen. Auch eine Nachbearbeitung solcher Gespräche kann hilfreich sein. Dies stärkt die Handlungskompetenzen als Patient:in, um in Folge eine informierte Entscheidung gemeinsam mit dem/der behandelnden Ärzt:in treffen zu können.
Nicht immer sind meine Klient:innen aber auch die Patient:innen – oft handelt es sich um Angehörige, die sich mit der Begleitung und Betreuung des/der Patient:in plötzlich überfordert fühlen.
Was ist in dieser Phase besonders wichtig?
Besonders wichtig ist es, in dieser Phase ein ansprechbares Gegenüber zu haben. Viele der Gedanken und Gefühle, die hochkommen, wiederholen sich immer wieder. Die meisten An- und Zugehörigen haben aber auch oft auf ihre Art mit der Diagnose zu kämpfen – bei ihnen brechen eventuell eigene Sorgen und Ängste auf. Oft kommt es dazu, dass Angehörige und Patient:innen anfangen, sich gegenseitig vor diesen Gedanken zu schützen – vieles bleibt unausgesprochen und belastet umso mehr. Hier ist es wertvoll, ein Gegenüber zu haben, das diesen Gedanken und Gefühlen Raum gibt und es auch schafft, diesen Raum zu halten. Also einen sicheren Platz zu bieten, wo man all diese Gefühle, Sorgen und Ängste aussprechen kann. Alles Gesagte und alle Aufzeichnungen unterliegen der strengen Verschwiegenheitspflicht.
Wie läuft Ihre Begleitung Schritt für Schritt ab?
Nach einem ersten Telefonat vereinbaren wir eine Erstberatung. Hier geht es darum, herauszufinden, ob sich der/die Klient:in bei mir wohlfühlt. Die erste Einheit ist eine Doppelstunde (100 Minuten) und bietet ausreichend Raum, darüber zu sprechen, woran der/die Klient:in leidet, weshalb er/sie in Beratung gehen möchte und wo er/sie sich Unterstützung wünscht.
Als psychosoziale Beraterin unterstütze ich dabei, neue Perspektiven einzunehmen, weitere Verhaltensmöglichkeiten zu erleben und gemeinsam für den/die Klient:in passende Lösungen oder Erleichterungen zu finden. Als Case Managerin kann ich bei ganz praktischen Themen unterstützen – wie z. B. „Was brauche ich in meiner derzeitigen Situation“, „Welche Angebote gibt es“, „Wie finde ich meinen Weg durch das Gesundheitssystem“. Gemeinsam überlegen wir, welche Aufgaben ich übernehmen kann, um Entlastung zu bringen. Es geht darum, das zu planen, zu organisieren und zu koordinieren, was Klient:innen in dieser Lebenssituation wirklich brauchen.
Für wen kann Psychosoziales Case Management hilfreich sein?
Wenn Sie …
- Mit einer neuen, ernst zu nehmenden Diagnose konfrontiert sind
- Das Gefühl haben, es zieht Ihnen den Boden unter den Füßen weg
- Keine klaren Gedanken fassen können
- Nicht wissen, wie Sie alles organisiert bekommen sollen
- Sich im Gesundheitssystem verloren fühlen
- Entscheidungen treffen müssen, wie es mit Ihrer Therapie/Behandlung weitergehen soll
- Unterstützung als Patient:in oder Zu-/Angehörige:r brauchen
- Und wenn es zu Veränderungen im Krankheitsverlauf kommt, die mit Belastungen, Angst und/oder Ressourcenknappheit einhergehen
„Darf“ ich meine Nachbarin oder den Kollegen auf seine/ihre Erkrankung ansprechen? Ist ein „Wie gehts dir" zu banal oder sollte man lieber schweigen? Was raten Sie?
Ich empfehle, zu fragen, wie es Betroffenen geht – allerdings nur, wenn man auch die Zeit hat zuzuhören und bereit ist, die Situation mitzutragen. Ein schnell zurückgeworfenes „Da musst du jetzt durch“, „Das wird schon wieder“ oder „Morgen schaut es schon wieder anders aus“ führt meist dazu, dass Betroffene sich nicht ernst genommen fühlen und verstummen. Haben Sie Mut und fragen sie nach! „Das ist alles so schwer“ – „Was genau fällt dir gerade so schwer?“ So zeigen sie ehrliches Interesse!
Wenn man diese Zeit gerade nicht hat, ist ein Ansprechen der eigenen Gefühle, z. B. „Deine Krebsdiagnose hat mich sehr traurig gestimmt“, oft besser. Auch ein Satz wie „Ich möchte dir versichern, dass ich in Gedanken bei dir bin“ wird oft als hilfreich wahrgenommen. Vielen Patient:innen fällt es schwer, um Hilfe zu bitten – deswegen ist eine konkrete Einladung wie „Es würde mich freuen, dich unterstützen zu dürfen“ oft leichter anzunehmen. Abraten würde ich von Phrasen wie „Das kann ich mir vorstellen“ – nein, das können wir uns alle eben nicht vorstellen!