Auch nach der Genesung ist für viele Betroffene das Thema Corona noch lange nicht zu Ende. Sie leiden unter mehr oder minder starken Folgeerscheinungen, zusammengefasst unter der Bezeichnung „Long COVID“.
Mit 11.05.2021 galten mehr als 609.666 an Corona Erkrankte in Österreich als genesen. Viele von ihnen fühlen sich aber auch noch Wochen und Monate nach der Infektion krank. Wie Untersuchungen zeigen, sind Langzeitfolgen nach COVID-19 Erkrankungen häufig und hinsichtlich der Beschwerden breit gefächert. Sie werden unter dem Begriff „Long COVID“ (manchmal auch „Post-COVID“) zusammengefasst.
Wie sehr und wie lange Betroffene unter den Folgen einer Coronaerkrankung leiden, hängt von verschiedenen Faktoren ab – etwa Vorerkrankungen, Alter oder auch Geschlecht. Treffen kann es aber jeden – das zeigen die neuesten Erkenntnisse aus Langzeitstudien und Patientenbefragungen, die Ende April von Fachärzten des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Linz präsentiert wurden.
Anhand internationaler Daten, die durchaus vergleichbar mit österreichischen sind, haben bis zu zwei Drittel der Betroffenen nach einem COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalt mit längerfristigen Einschränkungen zu kämpfen. Nach milderen Verläufen sind es immerhin bis zu 20 % der Erkrankten.
Long COVID: Es kommt zu einer überschießenden Immunreaktion
„Durch eine infektbedingte überschießende Immunreaktion kommt es neben einer Lungenschädigung auch zu Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Verdauungsapparat, die Nieren und auf das zentrale Nervensystem. In circa 30 % der Fälle waren selbst nach Wochen noch Veränderungen im Gerinnungssystem und erhöhte Entzündungswerte nachweisbar“, erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Facharzt für Intensivmedizin. „Konkret heißt das, dass mehr als drei Monate nach akuter Infektion anhaltende Beschwerden vorhanden sind.“
Am häufigsten ist ein ausgeprägtes Müdigkeits- und Erschöpfungsgefühl (Fatigue). Die Hälfte der Betroffenen klagt über Kurzatmigkeit bereits bei sehr geringer Belastung, dazu kommen Muskel- und Gelenksschmerzen, Brustschmerzen, Husten, Schlafstörungen, anhaltende Geruchs- und/oder Geschmacksstörungen, eine „rinnende“ Nase, rote Augen, Halsschmerzen, depressiv-ängstliche Symptome, Herzrasen, Durchfall oder auch Haarverlust.
40 % der Betroffenen entwickeln ein bis fünf Symptome, 60 % entwickeln mehr als fünf dieser Symptome. Einem Teil gelingt es, sich mühsam durch den Alltag zu kämpfen, andere sind arbeitsunfähig bzw. über Monate krankgeschrieben. Die Symptome sollten jedenfalls ernst genommen werden – Hausärzte sind dabei die erste Anlaufstelle.
Erschöpfung als häufigstes Symptom:
„Fatigue ist eine Erkrankung, die zu einem ausgeprägten und anhaltenden Gefühl von körperlicher beziehungsweise mentaler Erschöpfung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit führt. Kognitive Einschränkungen, wie zum Beispiel Konzentrationsstörungen, Schwierigkeiten beim Denken und dem Durchführen von Handlungen sind häufig,“ erklärt der Neurologe OA Priv.-Doz. Dr. Markus Hutterer.
Das Phänomen betrifft mehr als zwei Drittel aller Erkrankten, auch viele mit milden Verläufen klagen noch Monate danach über diese Beschwerden.
Zur Linderung dieser Symptome ist ein Therapiekonzept mit regelmäßiger körperlicher Aktivität, einer an die verminderte Leistungsfähigkeit angepasste Tagesstruktur und Gesprächen entscheidend, optimalerweise im Zuge einer Long-COVID-Rehabilitation, die bereits in den meisten Bundesländern angeboten wird.
Oft unbemerkt: Entzündungen des Herzmuskels
Mehr als ein Drittel der Betroffenen klagt über Wochen bis Monate anhaltende Geruchs- und Geschmackstörungen. Schwerwiegender zu werten ist allerdings die deutliche Erhöhung des Schlaganfallrisikos bei Patienten mit Atherosklerose mit entsprechend starken Langzeitfolgen, so Hutterer.
Eine Beteiligung des Herz-Kreislaufsystems ist bei milden wie auch schweren COVID-19 Infektionen häufig. Herzmuskelschäden aber auch das Auftreten von Herzmuskelentzündungen, Herzrhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz konnten beobachtet werden.
Aktuelle Risikofaktoren für Long COVID: Krankheitsverlauf, Alter, Geschlecht
Die Risikofaktoren, die bei der Entwicklung eines schweren Verlaufes eine Rolle spielen, sind auch bei Long COVID von Bedeutung. Dazu zählen bekanntlich Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen oder Adipositas.
Zusätzlich zu den klassischen Vorerkrankungen spielen aber noch andere Faktoren eine wichtige Rolle. So ist die Wahrscheinlichkeit, nicht zum normalen Gesundheitszustand zurückzukehren, bei Menschen über 50 Jahren sowie bei bestehenden psychischen Erkrankungen in etwa um das Doppelte erhöht.
Leidet ein Patient gleich zu Beginn unter vielen Symptomen wie etwa Atemnot, Husten, Geruchsverlust, usw. steigt das Risiko für Long COVID.
Aber auch das Geschlecht spielt eine große Rolle. Denn es sind Frauen im mittleren Alter, also zwischen 40 und 60 Jahren, die überdurchschnittlich häufig von Long COVID betroffen sind – und das, obwohl beim akuten Verlauf Männer einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf ausgesetzt sind und häufiger hospitalisiert werden müssen.
Verläufe bei chronisch Erkrankten:
Vorerkrankungen spielen bei Dauer und Ausprägung von Long COVID eine wichtige Rolle, denn je mehr chronische Erkrankungen bei einem Menschen vorliegen, desto länger leidet er höchstwahrscheinlich an den Folgen einer COVID-19-Infektion.
Waren nach 14 bis 21 Tagen rund 19 % der Patienten ohne chronische Erkrankungen noch nicht zu ihrem normalen Gesundheitszustand zurückgekehrt, stieg der Prozentsatz bereits mit einer Vorerkrankung auf 28 %.
Bei Menschen mit drei oder mehr chronischen Erkrankungen waren es 57 %. Die Sorge chronisch kranker Menschen ist laut den Medizinern also durchaus berechtigt.
Sind Jüngere in Sicherheit?
Meist wiegen sich junge Menschen ohne Vorerkrankungen und Menschen, die sich ob ihrer körperlichen Verfassung fit und gesund fühlen, in Sicherheit. Dazu zeichnen die Studien ein etwas differenziertes Bild. Auch eine nicht hospitalisierte COVID-19-Erkrankung kann zu längerer Krankheit und anhaltenden Symptome führen.
Rund 35 % der leicht Erkrankten, bei denen kein Spitalsaufenthalt notwendig war, waren fünf bis zwölf Tage nach dem PCR-Test noch nicht zu ihrem normalen Gesundheitszustand zurückgekehrt.
Selbst junge, gesunde Patienten zwischen 18 und 34 Jahren hatten in dieser Zeit zu 26 % nicht wieder zu ihrem ursprünglichen Gesundheitszustand zurückgefunden.
Ob sich die unterschiedlichen Mutationen in puncto Risiko und Ausprägung von Long COVID unterscheiden, steht noch nicht fest, auch wenn sich etwa die britische Mutation als infektiöser und gefährlicher erweist.
Empfohlene Maßnahmen bei Long COVID:
- Allgemein wird empfohlen:- ausreichende Flüssigkeitszufuhr,
- Überwärmung vermeiden - Bewegungs- und Sporttherapie:- Ausdauer- und Krafttraining mit moderater Belastungsintensität,
- Langsame Steigerung der Intensität, individuelle Anpassung der Übungen,
- fachkundige Begleitung und Anleitung - Aktivitäts- und Energiemanagement: - Tagesstruktur (Aufgaben und Energie-Einheiten planen, ausreichende Pausen und Ruhephasen beachten, Hilfsmittel anwenden, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung),
- Pflicht-Aufgaben verringern (priorisieren, delegieren, umorganisieren),
- Kür-Aufgaben (angenehme Dinge) bewusst einplanen und genießen,
- Energieverbrauch langfristig und schrittweise erhöhen (Energiekonto auffüllen),
- Achtsamkeitsbasierte Psychotherapie, spezifisches Aufmerksamkeits- und Entspannungstraining (z.B. progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Yoga)