Erschöpfung als Dauerzustand

von
Mag. pharm. Sonja Sofeit
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Aktualisiert am 26.02.2025

Fast jeder kennt das Gefühl, müde, energielos und erschöpft zu sein. Meist ist die Ursache bekannt und Körper und Geist sind rasch wieder regeneriert. Was aber, wenn Erschöpfung und Müdigkeit nicht verschwinden und keine Ursache zu erkennen ist? Es könnte ein chronisches Erschöpfungssyndrom vorliegen.

Chronische Erschöpfung ist ein anhaltender Zustand von körperlicher und geistiger Müdigkeit, der sich auch durch Ruhe oder Schlaf nicht wesentlich verbessert. Sie kann viele Ursachen haben und tritt oft in Verbindung mit anderen Erkrankungen auf. Neben Ursachen wie Burn-out, Schlafstörungen, hormonellen und psychischen Störungen und Mangelzuständen (Eisen, Vitamin B12 oder D) ist in vielen Fällen ein Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS/ME) dafür verantwortlich.

Die Myalgische Enzephalomyelitis oder Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine die Nerven und das Immunsystem betreffende Multisystemerkrankung. Typischerweise leiden Betroffene unter einer extrem beeinträchtigten Leistungsfähigkeit, begleitet von schwerer körperlicher und geistiger Fatigue. Dieser Zustand dauert mindestens sechs Monate an. Die Erkrankung kann je nach Schweregrad zu einer weitreichenden Behinderung, Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit führen.

Das Chronische Fatigue Syndrom ist als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt. Dennoch sind die konkreten Ursachen immer noch nicht zur Gänze geklärt. Man vermutet ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die teilweise umweltbedingt, teilweise auch genetisch sein können.

Ein Teil der Patient:innen berichtet von einem eindeutigen und akuten Krankheitsbeginn in Folge einer viralen oder bakteriellen Infektion, einer Operation, eines Traumas oder einer hormonellen Veränderung. Einem anderen Teil der Patient:innen ist es nicht möglich, den Beginn der Krankheit eindeutig zu identifizieren.

Hauptkriterien

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Die ausgeprägte Erschöpfung (Müdigkeit) …

  • besteht länger als sechs Monate.
  • beruht nicht auf einer körperlichen Überlastung oder auf einer körperlichen Erkrankung.
  • bessert sich nicht durch Ruhe und Erholung.
  • bedingt eine erhebliche Einschränkung der Aktivitäten im Alltag und im Beruf.

Long-COVID

Etwa ein bis zehn Prozent der Erkrankten können nach einer COVID-19-Erkrankung ME/CFS entwickeln. Der genaue Zusammenhang zwischen den Erkrankungen ist noch unklar. Es zeigt sich aber eine große Ähnlichkeit bei den Symptomen des Post-COVID-19-Syndroms und ME/CFS.

Ausprägung der Schweregrade von ME/CFS

“Leicht”ModeratSchwerSehr Schwer
50 % reduziertes AktivitätsniveauMobilität und Versorgung erheblich eingeschränktLeichte Tätigkeiten (z. B. Duschen, Zähneputzen) kaum möglichVollständig bettlägerig
Versorgung und Arbeit mit großen Einschränkungen möglichWeitgehend ans Haus gebundenAns Haus gebunden und überwiegend bettlägerigVollständig pflegebedürftig
 Arbeit/Studium nicht mehr möglichIm Alltag auf umfassende Unterstützung angewiesenVöllige Abschirmung von Reizen notwendig
  Starke SymptomeVerlust von grundlegenden Tätigkeiten (z. B. Sprechen, Essen)

Symptome

Der „Crash“

Typisch für die Krankheit sind eine Fehlregulation des Nervensystems, des Immunsystems und des Stoffwechsels. Betroffene empfinden eine stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit und schwere Fatigue (Erschöpfung), die auch nach Erholung nicht nachlässt. Je nach Schweregrad ist es den Betroffenen nur mehr teilweise oder gar nicht möglich, alltägliche Aktivitäten auszuführen.

Nach körperlicher oder mentaler Anstrengung (Post-Exertional Malaise, PEM) tritt oft eine Zustandsverschlechterung auf. Der sogenannte „Crash“ tritt unmittelbar oder zeitverzögert (12 bis 72 Stunden) nach bereits geringer Belastung auf, die vormals toleriert wurde. Die Verschlechterung kann Stunden, Tage oder Wochen anhalten. Jeder „Crash“ birgt das Risiko einer permanenten Verschlechterung des Gesamtzustandes. PEM ist das Symptom, das ME/CFS von anderen Krankheiten abgegrenzt, die mit Fatigue verbunden sind.

Instabiler Kreislauf

Betroffene können den Kreislauf des Körpers nicht über eine längere Zeit hinweg stabil halten. Die obere Körperhälfte, besonders das Gehirn, wird dadurch nicht optimal mit Blut versorgt. Ein Teil der Patient:innen leidet an einem zu schnellen Pulsschlag im Stehen, bei anderen Betroffenen tritt in aufrechter Position ein Blutdruckabfall auf und kann bis zur Ohnmacht führen.

Konzentrationsstörungen

Patient:innen berichten häufig von Konzentrationsstörungen und Schwierigkeiten, sich zu fokussieren (sogenannter Hirnnebel oder auch „Brain Fog“). Das geht auch mit Wortfindungsstörungen, einer verlangsamten Auffassung und Problemen beim Verarbeiten von Informationen einher.

Wiederholte Infekte

Patient:innen leiden an einer erhöhten Infektanfälligkeit. Es kommt häufiger zu Symptomen wie Kopf-, Hals- und Gliederschmerzen sowie Husten.

Chronische und akute Schmerzen

Häufig und speziell nach Belastungen treten chronische oder akute Schmerzen in Muskelgewebe, Knochen und Gelenken, im Kopf- und Halsbereich sowie gesteigerte Schmerz- und Reizempfindlichkeit (Licht- und Lärmempfindlichkeit) auf.

Schlafstörungen

Ebenfalls typisch sind Ein- und Durchschlafstörungen trotz starker Fatigue. Zudem fühlt sich der Schlaf nicht erholsam an.

Magen-Darm-Beschwerden

Viele ME/CFS-Patient:innen leiden an Beschwerden im Magen-Darm-Trakt, die ähnlich einem Reizdarm-Syndrom sein können. Dazu zählen Schmerzen, Durchfall, Verstopfung, Blähungen und Übelkeit.

Wege aus der Erschöpfung

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Bislang gibt es keine allgemein verfügbare Therapie, die die Ursachen von ME/CFS bekämpft. Patient:innen erhalten daher meist eine individuell angepasste Therapie zur Linderung der Symptome. Da diese Therapien sehr individuell sind und es oft Jahre dauert, bis es zu einer gezielten Therapie kommt, geht die Suche nach der passenden Behandlung mit hoher physischer und psychischer Belastung einher.

Fachgesellschaften empfehlen, anders als bei vielen anderen Krankheiten, keine Therapien, die auf physischen Aktivitäten oder Übungen basieren, denn Aktivierung führt bei ME/CFS-Betroffenen zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands.

Pacing

„Pacing“ ist die wichtigste Maßnahme im Management von ME/CFS. Das Ziel von Pacing ist es nicht, die Aktivität zu steigern, sondern auf die eigene Belastungsgrenze zu hören. Es gibt daher keine Regeln oder Ziele. Pacing bedarf einer individuellen Herangehensweise. Um Pacing konsequent umsetzen zu können, ist es für Betroffene hilfreich, eine Routine zu entwickeln und ein gutes Gefühl für ihre Grenzen zu bekommen. Für die „leichte“ Verlaufsform bedeutet das, vor und nach belastenden Tätigkeiten Pausen einzulegen und sich auszuruhen. Bei sehr schwer Betroffenen führen bereits minimale Reize zum Crash, ihr Pacing sieht also anders aus als bei leichten Verlaufsformen.

Medikamentöse Therapien

Durch den Mangel einer ursächlichen Therapie ist die Behandlung von ME/CFS meist symptomorientiert. Oft können Wirkstoffe, die bei Patient:innen zu Besserung gewisser Symptome geführt haben und dadurch erfolgversprechend sind, lediglich „off-label“ verschrieben werden. Das bedeutet, dass Arzt/Ärztin ein Medikament für einen Zweck verschreibt, der nicht offiziell dafür zugelassen ist.

Der CCCFS-Fragebogen – ein Forschungsprojekt der Medizinischen Universität Wien (2022) – setzt Lebensstil, Symptome, diagnostische Marker und Therapien miteinander in Verbindung. Ziel ist es, zukünftigen ME/CFS-Patient:innen schneller zu ihrer Diagnose und passenden Therapie zu verhelfen. Es zeigt sich, dass besonders Medikamente gegen Begleiterkrankungen zu einer phasenweisen und teils auch dauerhaften Zustandsverbesserung der Symptomatik führen können. Zu Schmerzmitteln sowie zu Medikamenten gegen Depressionen und Angststörungen gibt ein Großteil der Betroffenen an, keine Besserung des Zustandes wahrzunehmen.  

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Mag. pharm. Sonja Sofeit

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