Schwer, druckempfindlich, geschwollen: Lipödem-Betroffene leiden an einer chronischen Fettverteilungsstörung – vor allem in Armen und Beinen. Erfahren Sie hier mehr zu den Ursachen, Vorurteilen sowie Behandlungsoptionen.

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Der Begriff Lipödem setzt sich aus den griechischen Worten „lipos“ (Fett) und „oidma“ (Schwellung) zusammen. Es handelt sich dabei um eine chronische, oftmals schmerzhafte Fettverteilungsstörung. Lipödeme treten häufig im Oberschenkel- und Beinbereich auf. „Die Erkrankung ist nicht mit Adipositas gleichzusetzen“, erklärt auch Dr. Martin Barsch, MBA vom Zentrum für Lipödem in Linz. Männer sind übrigens extrem selten betroffen – dann meist aufgrund eine ausgeprägte hormonelle Störung. Beim Lipödem vermehren sich Fettzellen an Beinen und Hüften übermäßig stark, manchmal auch an den Armen. So wird verstärkt Lymphe produziert, die nicht mehr abtransportiert werden kann – und das führt zu stark geschwollenen, schmerzenden Beinen oder Armen. Die Haut ist druckempfindlicher und neigt zu blauen Flecken. Die Arme oder Beine fühlen sich durch die Flüssigkeitseinlagerung schwerer und geschwollen an. Außerdem beschreiben die Betroffenen ein Spannungsgefühl. Neben den körperlichen Beschwerden kann die Erkrankung auch psychisch sehr belastend sein – oft wird die Erkrankung abgetan mit „gutgemeinten“ Abnehmtipps.

Behandlung

Um die Ödem sowie die Schmerzen zu reduzieren, kommen

  • manuelle Lymphdrainage,
  • Kompressionstherapie mit Verbänden und Kompressionsstrümpfen,
  • Hautpflege und
  • Bewegungsübungen

zum Einsatz. Wenn trotz konsequenter Therapie weiterhin Beschwerden bestehen, kann über eine Fettabsaugung (Liposuktion) nachgedacht werden. Zur Vermeidung eines Lipödems sind eine ausgewogene Ernährung und gezielte Bewegung (etwa Wassersport) hilfreich. Die Vermeidung von Übergewicht beseitigt das Lipödem zwar nicht, schützt aber vor einer Verschlechterung.

Welche Maßnahmen außerdem helfen – und welche nicht, erklärt Dr. Martin Barsch, Facharzt für Dermatologie und Venerologie im folgenden Interview.

Interview Dr. Martin Barsch, MBA: „Es stimmt nicht, dass man nichts tun kann!“

Dr-Martin-Barsch-GregorHartl-at - © GregorHartl.at
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Wie unterscheidet sich ein Lipödem von anderen Krankheiten wie zum Beispiel Adipositas?
Das Lipödem ist eine Erkrankung der Frau, die in den meisten Fällen familiär gehäuft auftritt. Es entsteht nicht wie die Adipositas durch übermäßige Nahrungszufuhr und/oder Bewegungsmangel, kann aber dadurch verstärkt werden.
Vergleichen wir eine Patientin mit Lipödem und eine Patientin mit Adipositas mit jeweils 100 kg: Die übergewichtige Patientin hat das meiste Fettgewebe stammbetont eingelagert, vor allem in Brust, Bauch, Flanken, Gesäß und Reiterhosen. Über die typischen lipödematösen Beschwerden klagt sie nicht. Schwellungen in den Beinen können entstehen, wenn der Bauch sehr groß ist und die großen Beingefäße im Sitzen abgedrückt werden.
Die Lipödem-Patientin klagt seit der Pubertät über dickere Beine, die zunehmend schwer werden. Sie betreibt Sport, hat eine schmale Taille, aber die Beine werden disproportional immer dicker. Abends fühlen sich die Beine wie Blei an, das Stiegensteigen ist dann sehr beschwerlich. Leichter Druck, wie zum Beispiel das Sitzen eines Kindes am Schoß oder auch ein liebliches Kneifen, schmerzt unverhältnismäßig und hinterlässt oft tagelange kleine Einblutungen, der Therapiezugang ist bei beiden Patientinnen sehr different. Der Patientin mit Adipositas helfen Sport und Diät. Die Lipödem-Patientin wird – sofern nicht zusätzlich eine Adipositas vorhanden ist – davon nur wenig profitieren. Die einzige nachhaltige Therapie ist die lymphschonende Fettabsaugung.

Was sollten Lipödem-Patientinnen im Bereich Sport unbedingt tun und was vermeiden?
Ganz typisch für das Lipdödem ist dieses ausgeprägte, oft mehrere Tage anhaltende, Erschöpfungsgefühl nach exzessiver körperlicher Aktivität. Ich empfehle, den Fokus auf Ausdauersport zu legen und weniger Kraftsport durchzuführen. Vor allem bei jüngeren Patientinnen mit noch straffer Haut führt ein Muskelaufbau oft zu einem vermehrten Berstungs-gefühl der Beine. Sportarten im Wasser wie Schwimmen oder Aquagymnastik sind – aufgrund des zusätzlichen Wasserdruckes von außen – vorteilhaft. Die Gelenke werden geschont und die Lymphe schonend aus den Beinen komprimiert. Es sollte ein/e Spezialist:in aufgesucht werden, der/die das Lipödem ausschließt oder bestätigt.

Kann man mit Ernährung gegensteuern?
Viele Lipödem-Patientinnen haben einen geringen Grundumsatz. Dies bedeutet, dass sie schwieriger Gewicht reduzieren können beziehungsweise ungemein mehr Aktivitäten setzen müssen, um eine Gewichtsreduktion zu erfahren. Gesellt sich zusätzlich zum Lipödem eine sekundäre Adipositas dazu, verschlimmern sich in der Regel die Symptome wie schwere Beine, Druckschmerzhaftigkeit und oft auch ein bewegungsabhängiger Dauerschmerz. Eine ausgewogene Ernährung mit reduzierter Kalorienzufuhr und ballaststoffreicher Ernährung ist ein Grundstein der Lipödem-Diät. Intervallfasten ist sehr nachhaltig, ohne Jojo-Effekt, der leider oft bei zum Beispiel kohlenhydratfreier Diät auftritt.
In ausgewählten Fällen operieren wir auch Lipödem- Patientinnen mit Adipositas – wenn die Schmerzen in den Beinen verantwortlich für den Bewegungsmangel sind und dadurch – auch oft kombiniert mit kompensatorischem Frustessen – eine sekundäre Adipositas entsteht.

Gibt es Mythen und Irrtümer über das Lipödem, die Sie gerne richtigstellen würden?
Es gibt immer wieder Behauptungen, dass man beim Lip-ödem nichts machen kann. Das ist nicht richtig. Die konservative Vorgehensweise mit komplex physikalischen Maßnahmen bringt Besserung, sofern eine Ödemkomponente dabei ist, kann aber das Fortschreiten nicht aufhalten.
Die lymphschonende Liposuktion ist die einzige nachhaltige Therapie – und wenn das Gewicht stabil gehalten wird, gibt es so gut wie kein Rezidiv. Die Datenlage ist hier mittlerweile sehr eindeutig.