Ihr komplexer Aufbau und ihre vielseitigen Funktionen machen die Schulter anfällig für Verschleiß und Verletzungen. Was hinter Schulterschmerzen stecken kann, wie man sie selbst lindert und wann Sie eine/n Spezialistin/Spezialisten konsultieren sollten ...
Das Schultergelenk ist ein echter Tausendsassa. Als beweglichstes Kugelgelenk des Körpers befestigt es nicht nur die Arme am Rumpf, sondern lässt auch Armbewegungen in fast alle Richtungen zu. Oberarm, Schlüsselbein und Schulterblatt treffen im Schulterbereich aufeinander. Das Schulterhauptgelenk verbindet den Oberarmkopf mit der Gelenkpfanne im Schulterblatt. Umgeben ist das Schulterhauptgelenk von einer Gelenkkapsel. Sie bildet auch die für die Schmierung wichtige Gelenkflüssigkeit. Dafür, dass das Schultergelenk stabil und der Oberarmkopf bei extremen Bewegungen in der Gelenkpfanne bleibt, sorgen vorwiegend Muskeln und Sehnen, die in der Medizin als „Rotatorenmanschette“ bezeichnet werden. Sie umgibt den Oberarmkopf wie eine Manschette, zentriert ihn und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität der Schulter. Die zahlreichen Schleimbeutel der Schulter wirken wie Puffer und sorgen dafür, dass sich Muskeln, Sehnen und Knochen nicht gegenseitig abreiben. Können die wesentlichen Teile des Schultergelenks ihre Aufgaben uneingeschränkt erfüllen, funktionieren die Armbewegungen wie geschmiert.
Wenn die Schulter nicht mehr mitmacht
Doch was, wenn das sonst so perfekte System der Schulter ins Stocken gerät und sich etwa beim Heben des Armes plötzlich Schmerzen bemerkbar machen? Die häufigsten Ursachen für Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Schulterbereich sind entzündlich degenerativ, haben also mit Alterung, Verschleiß und Abnutzung zu tun. Typische Krankheitsbilder, die zu Schulterschmerzen führen sind Schleimbeutelentzündungen, die sog. Kalkschulter mit Reizung des Schleimbeutels, Entzündungen im Verlauf der langen Bizepssehne oder eine verschleißbedingte Arthrose des Schultereckgelenks zwischen Schulterblatt und Schlüsselbein. „Verletzungen der Rotatorenmanschette gehören ebenfalls zu den häufigen Ursachen für Schulterschmerzen. Sie können sowohl akut – etwa durch einen heftigen Sturz – als auch schleichend fortschreitend durch Verschleiß entstehen“, so Dr. Norbert Keiblinger, Facharzt für Orthopädie und Traumatologie in Gmunden und Linz. Immer häufiger sind Verletzungen wie Stürze auf die Schulter oder auf den ausgestreckten Arm der Auslöser für Schulterschmerzen.
Schmerzen selbst lindern
Treten Schulterschmerzen nach einer Prellung oder Zerrung auf, ist Schonung angesagt. Um die Schulter für einige Tage ruhig zu stellen, eignet sich ein Dreieckstuch. Kalte Umschläge und kühlende Gels und Salben können ebenfalls die Beschwerden reduzieren. „Bei starken Schmerzen kann man kurzfristig auch schmerzstillende Medikamente, am besten aus der Gruppe der NSAR, einnehmen“, so der Rat des Arztes. Wirkstoffe wie Ibuprofen oder Diclofenac sind schmerzstillend und haben außerdem eine entzündungshemmende und abschwellende Wirkung. Vorsicht ist bei Patientinnen und Patienten geboten, die Medikamente zur Blutverdünnung einnehmen oder an einer Nierenfunktionsstörung leiden. Sie sollten sich bei der Wahl des Schmerzmittels von ihrem Hausarzt/ihrer Hausärztin beraten lassen. Während akute Schmerzen gut auf Kälte ansprechen, sind bei chronisch-degenerativen Erkrankungen Wärmebehandlungen besser geeignet. Wärmebehandlungen können etwa in Form von warmen Umschlägen, Infrarot-Lampen, Wärmekissen oder wärmenden Salben durchgeführt werden. Durch die Wärme entspannen sich die Muskeln, und die Schmerzen werden gelindert. Spezielle Übungen sollten bei Schmerzen ausschließlich unter professioneller Anleitung und nur bis zur Schmerzgrenze, nie darüber hinaus, gemacht werden.
Therapiemöglichkeiten
Wurde die Ursache für die Schulterschmerzen gefunden, stellt sich die Frage, ob die Erkrankung oder Verletzung konservativ behandelt werden kann oder ob eine Operation unbedingt erforderlich ist. „Die Entscheidung darüber wird immer in einem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten/der Patientin getroffen, wobei Faktoren wie Alter, gewisse Risikofaktoren und der Anspruch auf ein voll funktionierendes Gelenk eine entscheidende Rolle spielen“, so Dr. Keiblinger. Fällt die Entscheidung auf eine Behandlung ohne operative Maßnahme, wird meist auf die Kombination von medikamentöser Therapie und Physiotherapie gesetzt. Ziel der speziellen Übungen ist es, die Muskulatur des Schultergürtels zu stärken, das Zusammenspiel der einzelnen Muskeln zu trainieren und somit das Gelenk wieder in die richtige Position zu bringen.
Tipp vom Experten: Wann zur Ärztin/ zum Arzt?
Dr. Norbert Keiblinger
Facharzt für Orthopädie
Wurden die Beschwerden nicht durch eine akute Verletzung ausgelöst, kann es gelingen, sie durch Schonung, Salbenbehandlungen und die Einnahme von Schmerzmitteln einzudämmen. Bringt diese Eigentherapie innerhalb von zwei bis drei Wochen nicht den gewünschten Erfolg, sollte der Weg zur Spezialistin bzw. zum Spezialisten führen. Schneller muss bei Schmerzen gehandelt werden, die nach einem Sturz auftreten. Um mittels Röntgen einen Bruch auszuschließen, sollte innerhalb weniger Tage eine Unfallambulanz aufgesucht werden. Es liegt im Trend, immer mehr Risiko im Sport und in der Freizeit einzugehen, dadurch steigt das Verletzungsrisiko vor allem im Bereich der Schulter“, so Dr. Norbert Keiblinger.
Haltung zeigen, Risiko vermeiden
Kräftigung und regelmäßige Bewegung sind in der Vorbeugung von Schulterproblemen das A und O. Risikofaktor Nr. 1 ist die sitzende Tätigkeit vor dem Computer“, so der Orthopäde. Wer aus beruflichen Gründen viel sitzen muss, sollte auf eine möglichst ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes achten und regelmäßige Bildschirmpausen einplanen, die für einfache Bewegungen und Entspannungsübungen genutzt werden. Ein schlecht angepasster Arbeitsplatz kann zu Haltungsschäden und Verspannungen im Schulter-Nackenbereich führen, die für viele Probleme im Schulterbereich verantwortlich sind. Regelmäßige Bewegung in der Natur und eine gezielte Stärkung der Muskulatur beugen Schmerzen vor. Dabei sollte immer auf eine gute Haltung des Schultergürtels geachtet werden. Vorsicht ist hingegen bei allen Überkopfsportarten wie Tennis, Handball oder Volleyball sowie bei allen Sportarten mit erhöhtem Sturzrisiko geboten.