Psychosen
Der Begriff „Psychose“ umfasst eine Reihe verschiedener psychischer Störungen, bei denen die Betroffenen die Realität verändert wahrnehmen oder verarbeiten.
Psychotische Patient:innen können beispielsweise unter Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Ich-Störungen, Angstzuständen, depressiver Stimmung oder extremen Erregungszuständen leiden. In der Regel liegt eine Kombination mehrerer dieser Symptome vor. Dabei nehmen sich die Betroffenen meist aber nicht selbst als krank oder verändert wahr, sondern erleben vielmehr ihre Umwelt als fremd und verzerrt.
Psychosen können unterschiedliche Ursachen haben. In manchen Fällen sind neurologische Erkrankungen, Verletzungen oder Drogenmissbrauch der Auslöser, häufig ist jedoch keine konkrete Ursache auszumachen. Es kann sich bei einer Psychose um eine vorübergehende (akute) oder eine anhaltende (chronische) Störung handeln. Bei vielen Betroffenen entwickelt sich die Erkrankung schleichend und bleibt zunächst unbehandelt.
Etwa 1 bis 2% der Gesamtbevölkerung erkrankt mindestens einmal im Laufe des Lebens an einer Psychose. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Bei den meisten Patient:innen tritt die Psychose zum ersten Mal im jungen Erwachsenenalter auf. Bei Männern ist dies meist im Alter zwischen 18 und 23 Jahren der Fall, bei Frauen im Alter zwischen 23 und 28 Jahren. Eine Psychose kann jedoch auch in der Jugend oder im fortgeschrittenen Erwachsenenalter einsetzen.
Arten von Psychosen
In der Fachmedizin unterscheidet man grundsätzlich zwei Arten von Psychosen: sogenannte primäre (auch nicht-organische oder endogene) Psychosen und sekundäre (auch organische oder exogene) Psychosen.
Bei primären Psychosen ist keine Ursache der Erkrankung feststellbar. Zu diesen gehört allen voran die Schizophrenie (schizophrene Psychose). Ebenfalls in diese Kategorie fallen u.a. folgende Psychose-Arten:
- Wahnhafte Störung: inhaltliche Denkstörungen und Wahnideen
- Schizotype Störung:exzentrisches Verhalten, anormales Denken und anormale Stimmung ohne eindeutige schizophrene Symptome
- Schizoaffektive Psychose:Symptome der schizophrenen (Wahn, Halluzinationen) und der affektiven Psychose (depressive, manische Zustände) vermischen sich
Sekundäre Psychosen haben eine (körperlich) nachweisbare Ursache und entstehen in der Regel durch Beeinträchtigungen der Hirnfunktion. Sie können unter anderem ausgelöst werden durch:
- organische Erkrankungen/Verletzungen: z.B. Epilepsie, Demenz, Hirntumoren, Schädel-Hirn-Traumata, Infektionskrankheiten, Stoffwechselstörungen
- den Konsum bzw. akuten Entzug von Alkohol und Drogen (drogeninduzierte Psychose) bzw. die Einnahme mancher Medikamente (medikamenteninduzierte Psychose)
Was ist Schizophrenie?
Schizophrenie ist eine schwere psychische Störung, bei der die Gedanken und Wahrnehmungen der Betroffenen verändert sind. Charakteristisches Merkmal ist dabei ein über längere Zeit andauernder Realitätsverlust. Dieser kann sich in Form von Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder anderen Störungen äußern. Viele Betroffene bemerken dabei nicht, dass sie erkrankt sind und lehnen deshalb eine Behandlung ab. Bei etwa einem von 100 Menschen wird im Laufe des Lebens Schizophrenie diagnostiziert.
Entgegen der umgangssprachlichen Verwendung und des Wortursprungs (altgriechisch: „schizo“ = ich spalte, „phren“ = Geist) liegt einer Schizophrenie-Erkrankung keine gespaltene Persönlichkeit zugrunde. Krankheitsbilder mit multiplen Persönlichkeiten werden in der heutigen Psychiatrie vielmehr als "dissoziative Identitätsstörungen" bezeichnet.
Symptome
Gemeinsames Merkmal von Psychosen ist eine verzerrte Wahrnehmung der Realität. Diese kann sich auf unterschiedliche Art und Weise ausdrücken. Es gibt jedoch einige Kernsymptome, die besonders häufig auftreten. Zu diesen gehören:
- Wahnvorstellungen
- Halluzinationen
- Ich-Störungen
- Verwirrtheitszustände, Konzentrationsstörungen
- Angstzustände
- Stimmungsschwankungen (z.b. Depression oder Manie)
- Antriebsstörungen
- desorganisiertes Denken und Sprechen
- desorganisiertes Verhalten und eine gestörte Motorik
- mangelnde emotionale Reaktion
- sozialer Rückzug
Bei einer primären (nichtorganischen) Psychose stehen in der Regel vor allem psychotische Veränderungen wie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen im Vordergrund, während bei sekundären (organischen) Psychosen häufig zusätzlich Verwirrtheitszustände, Störungen des Bewusstseins und Gedächtnisprobleme auftreten.
Wahnvorstellungen
Unter Wahnvorstellungen versteht man inhaltliche Denkstörungen, bei denen falsche, von der Realität abweichende Vorstellungen entwickelt werden. Patient:innen, die unter Verfolgungswahn leiden, sind zum Beispiel fest davon überzeugt, dass sie überwacht werden und nehmen ihre Umgebung als feindselig wahr. Personen mit Größenwahn laborieren wiederum an einer krankhaften, nicht begründeten Selbstüberschätzung und neigen zur Selbsterhöhung.
Eine weitere häufige Ausprägung von Wahnvorstellungen ist der sogenannte Beziehungswahn, bei dem Betroffene alle möglichen äußeren Gegebenheiten (z.B. Fernseh-/Radionachrichten oder das Wetter) in realitätsferner Form auf sich selbst beziehen. Auch der Eifersuchtswahn (Betroffene sind davon überzeugt, vom Partner betrogen zu werden) oder der Schuldwahn (Betroffene sind sicher, schwere moralische Schuld auf sich geladen zu haben) sind Beispiele.
Halluzinationen
Während es sich bei einer Wahnvorstellung um eine Störung des Denkens handelt, beschreibt der Begriff Halluzination eine Störung der Wahrnehmung. Prinzipiell können bei einer Psychose alle Sinne von Halluzinationen betroffen sein, am häufigsten treten jedoch akustische Halluzinationen auf. Ein typisches Phänomen ist das Wahrnehmen von Stimmen. Dabei leiden die Betroffenen unter dem Eindruck, dass die Stimmen ihr Verhalten kommentieren oder ihnen Befehle erteilen.
Auch optische Halluzinationen wie das Sehen von Personen, Gegenständen oder Farben, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind oder die verzerrte Wahrnehmung von Gesichtern kommen vor. Manche Patienten leiden auch unter olfaktorischen (nicht-existente Gerüche werden wahrgenommen) oder sensorischen (nicht-existente Berührungen werden wahrgenommen) Halluzinationen.
Ich-Störungen
Unter einer Ich-Störung versteht man eine psychische Störung, bei der die Grenze zwischen dem eigenen Ich und der Außenwelt verschwimmt bzw. als "fließend" wahrgenommen wird. Manche Betroffene sind etwa davon überzeugt, dass ihnen Gedanken von Fremden in den Kopf eingegeben werden ("Gedankeneingebung") oder ihre eigenen Gedanken laut hörbar sind ("Gedankenlautwerden") und ziehen sich deshalb sozial zurück. Andere wiederum empfinden die Außenwelt als unwirklich und fremd (Derealisation) oder nehmen sich selbst als unwirklich und fremd wahr (Depersonalisation).
Ursachen
Im Gegensatz zu primären (nicht-organischen) Psychosen ist bei sekundären (organischen) Psychosen eine direkte äußere Ursache feststellbar. Auslöser für diese Art von Psychosen sind zum Beispiel:
- neurologische bzw. Gehirn-ErkrankungenDemenz, Epilepsie, Multiple Sklerose etc.
- organische Gehirnveränderung/GehirnverletzungenGehirntumoren, Schädel-Hirn-Traumata, frühkindliche Hirnschädigungen etc.
- Infektions- und Stoffwechselkrankheitenz.B. Gehirnentzündung oder Gehirnhautentzündung
- Drogen-/Medikamentenkonsum speziell Psychostimulanzien wie LSD und Cannabis, aber auch Kokain, Alkohol und etc.
Die Ursachen von primären Psychosen sind bisher verhältnismäßig wenig erforscht. Expert:innen gehen jedoch davon aus, dass mehrere Faktoren bei der Entwicklung einer solchen Psychose eine Rolle spielen. Zum einen scheinen dies Störungen des Hirnstoffwechsels (Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn) zu sein, zum anderen genetische Faktoren. So wurde beispielsweise in Studien gezeigt, dass 12% der Kinder mit einem schizophrenen Elternteil selbst im Laufe ihres Lebens an Schizophrenie erkranken, während von den Kindern ohne genetische Disposition nur rund 1% betroffen ist. Wenn beide Elternteile schizophren sind, steigt das Erkrankungsrisiko gar auf 45%.
Darüber hinaus wird ein ursächlicher Zusammenhang mit äußeren psychischen Belastungen wie Stress und kritischen Lebensereignissen vermutet.
Diagnostik
Die Diagnose einer Psychose erfolgt im Idealfall in Zusammenarbeit zwischen Arzt/Ärztin, dem/der Betroffenen und dessen/deren engsten Angehörigen. Zunächst versucht der Arzt/die Ärztin im Rahmen eines ausführlichen Erstgespräches (Anamnese) zu klären, welche Symptome bestehen und ob gegebenenfalls starke aktuelle Belastungen oder veränderte Lebensumstände vorliegen.
Um festzustellen, ob eine körperliche Ursache für die Psychose in Frage kommt, wird anschließend in der Regel eine Reihe von labormedizinischen Tests und Untersuchungen durchgeführt. Dazu gehören etwa:
- Blutuntersuchung
- Elektrokardiografie (EKG)
- Elektroenzepholografie (EEG)
- Magnetresonanztomografie (MRT, Kernspintomografie)
Kann der Arzt/die Ärztin keine organische Ursache für die Psychose feststellen, ist oft eine Beobachtung der Symptomatik über einen längeren Zeitraum hinweg notwendig. Diese führt ein Facharzt/eine Fachärztin durch - unter anderem mit Hilfe bestimmter klinischer Fragebögen. Anhand spezieller Diagnosesysteme für psychische Krankheiten kann schließlich eine Kategorisierung der Störung erfolgen.
Verlauf & Phasen
Bei sekundären (organischen) Psychosen hängt der Verlauf stark von der zugrundeliegenden Ursache ab. Kann diese behoben werden (z.B. eine neurologische Krankheit oder ein missbräuchlicher Drogenkonsum), ist die Prognose für Betroffene gut.
Der Verlauf einer primären (nicht-organischen) Psychose kann wiederum in Phasen unterteilt werden:
- Prodromalphase:So wird der Zeitraum vor der eigentlichen Psychose bezeichnet, in dem allerdings schon erste Früh-Symptome auftreten. Sie dauert im Normalfall zwischen zwei und fünf Jahren.
- Phase der unbehandelten Psychose:In dieser Zeit liegt bereits eine Psychose vor, die Betroffenen beanspruchen jedoch noch keine therapeutische Hilfe. Die durchschnittliche Dauer dieser Phase liegt bei etwa sechs bis zwölf Monaten.
- Akutphase:In dieser Phase kommt es zum vollständigen Ausbruch der Krankheit mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Denkstörungen.
- Langzeitphase:Hiermit ist die Zeit nach dem Verschwinden der akuten Psychose-Symptome gemeint. Betroffene fühlen sich in dieser Phase oft antriebslos, niedergeschlagen und teilnahmslos. Sie kann mitunter mehrere Jahre andauern.
Der Psychose-Verlauf ist individuell sehr verschieden. Bei einem Teil der Betroffenen tritt die Psychose nur einmalig, schubweise auf und verschwindet dann wieder. Bei anderen Patient:innen kommt es zu wiederholten psychotischen Episoden - zwischen diesen Akutphasen liegen jedoch keine Symptome vor. Nur etwa ein Drittel leidet unter einer chronischen Ausprägung, bei der die Symptome dauerhaft bestehen.
Psychose-Frühzeichen
Wenn erste Anzeichen einer Psychose rechtzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden, gelingt es oft, einen Ausbruch zu verhindern bzw. den Verlauf abzuschwächen. Deshalb ist es wichtig, etwaige Frühwarnzeichen richtig zu interpretieren und möglichst bald einen Facharzt/eine Fachärztin aufzusuchen. Eine richtige Einordnung gestaltet sich jedoch oft schwierig, da diese Symptome nicht spezifisch und ausschließlich für eine Psychose gelten und auch andere Erkrankungen zu Grunde liegen können. Eine adäquate Diagnose kann deshalb nur durch den Facharzt/die Fachärztin erfolgen. Zu den Frühwarnzeichen einer Psychose gehören:
- sozialer Rückzug
- Minderung der Lebensfreude und Leistungsfähigkeit
- Lustlosigkeit, Schlaf- und Antriebsstörungen
- Nervosität, Ängstlichkeit und Unruhe
- leichte Reizbarkeit
Behandlung
Die Psychose-Behandlung gestaltet sich individuell sehr unterschiedlich und hängt stark von der zugrundeliegenden Erkrankung ab. Bei sekundären Psychosen wird in der Regel zunächst versucht, die Ursache der Störung zu beheben. Dies kann z.B. die Entfernung eines Tumors sein, die Behandlung einer neurologischen Erkrankung oder die Therapie einer Drogensucht.
Zur Behandlung einer akuten Psychose werden bestimmte Medikamente, sogenannte Antipsychotika, eingesetzt. Diese lindern die Symptome wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen und können in vielen Fällen das Wiederauftreten einer akuten Psychose verhindern. Wie lange diese Wirkstoffe eingenommen werden sollen, ist individuell sehr unterschiedlich. Die optimale Wahl der Dosis und Einnahmedauer dieser Arzneimittel muss unbedingt durch einen Facharzt/eine Fachärztin erfolgen.
Auch psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen haben sich als wirksam erwiesen. Eine Psychotherapie kann Betroffenen helfen, die Symptome und Auswirkungen einer Psychose besser zu bewältigen. Die Teilnahme an sogenannten Psychoedukationsgruppen kann ebenfalls einen positiven Einfluss auf den Behandlungsverlauf haben. In diesen bekommen die Patient:innen detaillierte Informationen zu ihrer Erkrankung und können sich mit anderen Betroffenen austauschen.
Hilfe
- Überblick über Krisentelefone und Notrufnummern bei psychischen Krisen
- Telefonseelsorge: www.telefonseelsorge.at (Notruf 142)
- Website des Öffentlichen Gesundheitsportals Österreichs: Beratung & Hilfe bei psychischen Erkrankungen
- Notfallpsychologischer Dienst Österreich (NDÖ): www.notfallpsychologie.at
- In Wien steht der sozialpsychiatrische Notdienst rund um die Uhr unter der Rufnummer
01 31330 zur Verfügung. - Das Kriseninterventionszentrum Wien bietet hilfreiche Links zu Ansprechstellen in ganz Österreich und weiterführenden Informationen unter www.kriseninterventionszentrum.at.
- HPE.at: Beratungsstelle für Angehörige und Freunde psychisch Erkrankter