Phytotherapie und ihre Phytopharmaka erfreuen sich seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit und werden gegen verschiedenste Erkrankungen und Beschwerden eingesetzt. Was ist Phytotherapie nun aber genau? Und was zeichnet Phytopharmaka aus? Diese und weitere Fragen sollen in folgendem Artikel beantwortet werden.
Was wird unter Phytotherapie verstanden?
Unter Phytotherapie wird die Heilung, Linderung oder Vorbeugung von Krankheiten und Beschwerden durch Heilpflanzen verstanden. Dabei kann es sich um die Pflanze an sich, bestimmte Pflanzenteile (Blätter, Blüten, Wurzeln …), Pflanzenbestandteile (ätherisches Öl …) oder Zubereitungen aus Arzneipflanzen handeln. Das bedeutet, dass es sich bei der Phytotherapie um die evidenzbasierte, also nachweislich wirksame Pflanzenheilkunde handelt, welche ausschließlich Arzneimittel aus pflanzlichen Ausgangsstoffen, die Phytopharmaka, verwendet.
Phytotherapie und Selbstmedikation?
Viele Menschen greifen im Rahmen der Selbstmedikation auf Phytopharmaka bzw. Phytotherapeutika zurück, sei es, weil der Magen drückt, man an Schlafstörungen leidet oder eine lästige Erkältung hat. Sehr wohl gibt es aber auch rezeptpflichtige pflanzliche Arzneimittel, welche bei Erkrankungen verwendet werden, die einer ärztlichen Therapie bedürfen. Sie gelten als gut wirksam und nebenwirkungsarm.
Für Geschichtefans
Die Historie der Phytotherapie lässt sich viele tausende Jahre zurückverfolgen. In der „Materia Medica“ Mesopotamiens (3.000–2.400 v. Chr) werden bereits zahlreiche ölige und wässrige Pflanzenauszüge genannt. Zu einer sehr bekannten Quelle zählt der „Papyrus Ebers“ aus ca. 1500 v. Chr. Dieser enthält eine mehr als zwanzig Meter lange Schriftrolle, welche neben der Beschreibung von Krankheiten auch die erste Erwähnung der Meerzwiebel bei Herzproblemen enthält. Eine weitere wichtige Quelle, die zwischen dem 6. Jhdt. v. Chr und dem 3. Jhdt. nach Chr. entstanden ist, ist das Corpus hippocraticum, welches Beschreibungen über 200–400 Arzneipflanzen enthält. Zu den späteren bedeutenden Werken zählt die „Materia medica“ des griechischen Arztes Pedanios Dioskurides, welche Beschreibungen von ca. 600 Pflanzen beinhaltet.
Vom 8. bis 12. Jhdt. befand sich das Heilpflanzeninteresse in den Klöstern, wobei der klösterliche Heilkräutergarten von großer Bedeutung war und das Wissen in den Klosterbibliotheken in Medikamentarien, Rezeptarien und Kräuterbüchern aufbewahrt wurde. Eine bekannte Äbtissin dieser Zeit ist Hildegard von Bingen, welche die beiden besonderen Werke „Liber simplicis medicinae“ und „Causae et Curae“, welche 230 Pflanzen behandeln, verfasste. Das größte Werk der Humoralpathologie, welches über 750 Kapitel mit pflanzlichen Arzneimitteln enthält, stammt von Avicenna und ist aus dem 2. Jtsd. n. Chr. Als erstes Europäisches Arzneibuch gilt „Circa instans“. In der Renaissance entstanden die „Testimonien“ z. B. von Leonhard Fuchs oder Hieronymus Bock. Schließlich kam es im 19. Jhdt. durch die Pharmakognosie zur systematischen Erforschung von Arzneipflanzen.
Was versteht man unter Phytopharmaka?
Phytopharmaka sind pflanzliche Arzneimitte, welche immer ein sogenanntes Vielstoffgemisch beinhalten. Das bedeutet, dass mehrere Wirkstoffe einer Pflanze enthalten sind, welche sich gegenseitig ergänzen und verstärken können. Durch dieses Gemisch enthalten sie verschiedene Wirkstoffe mit unterschiedlichen Angriffspunkten, aber ähnlichen Wirkungen, wodurch es zu einer Verstärkung der Wirkung, aber nicht der Nebenwirkungen kommt. Außerdem können die Zubereitungen auch dann wirken, wenn ein/e Patient:in auf einen einzelnen Wirkstoff nicht anspricht, auf andere aber schon. Somit haben Phytopharmaka in der Regel ein breites Wirkspektrum und oft günstige Wirkungen bei geringen Nebenwirkungen. Pflanzliche Arzneimittel unterliegen strengen Arzneimittelgesetzen und die Arzneimittelsicherheit spielt eine wichtige Rolle, da pflanzliche Wirkstoffe genauso wirksam sind wie synthetische Stoffe und ebensolche Nebenwirkungen haben können. Daher können Zubereitungen aus Pflanzen anderer Kulturkreise wie der Traditionellen Chinesischen Medizin oder Ayurveda zu den Phytopharmaka gezählt werden, wenn ihre Wirksamkeit und Sicherheit nachgewiesen wurde.
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Welche Anwendungsgebiete gibt es?
Zu den Anwendungsgebieten zählen sowohl akute als auch chronische Krankheitsbilder wie Beschwerden des Bewegungsapparates, die gutartige Prostatavergrößerung, Depressionen, Demenz, Durchfallerkrankungen, Erkältungskrankheiten, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Verstopfung, Verdauungsprobleme, Venenleiden und viel mehr. Einige Pflanzen sind insbesondere zur Behandlung chronischer Erkrankungen gut geeignet, da sich ihre Wirkung erst nach Tagen bis Wochen einstellt. Natürlich kann auch eine Kombination von pflanzlichen und synthetischen Wirkstoffen sinnvoll sein, wobei hier immer auf Wechselwirkungen zu achten ist. Ob bei einer Erkrankung pflanzliche oder synthetische Wirkstoffe zum Einsatz kommen oder eine Kombination, sollte von Fall zu Fall entschieden werden. Es sollte jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Phytotherapie die ungefährlichste Art der Therapie sei, da durchaus gefährliche Nebenwirkungen möglich sind. Insbesondere bei lebensbedrohenden Erkrankungen (z. B. Krebs) ist darauf zu achten, dass eine Kausaltherapie nicht zugunsten einer Phytotherapie ausbleiben darf.
Abgrenzung zu anderen Methoden?
Bei der Phytotherapie handelt es sich im Vergleich zur synthetisch-chemischen Therapie um den Einsatz eines Vielstoffgemisches, im Gegensatz zum Einsatz
einzelner Substanzen. Wird ein pflanzlicher Inhaltsstoff wie beispielsweise Atropin als Einzelsubstanz verwendet, ist diese nicht mehr der Phytotherapie zuzurechnen.
Komplementäre Therapien, welche homöopathische Arzneimittel, anthroposophische Arzneimittel oder Bachblüten anwenden, zählen nicht zur Phytotherapie, da sie auf anderen Wirkprinzipien beruhen, auch wenn Pflanzen als Ausgangsstoffe verwendet werden. Bei Nahrungsergänzungsmitteln handelt es sich im Gegensatz zur Phytotherapie um Präparate, welche die normale Ernährung ergänzen und keinesfalls der Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten dienen. Diese unterliegen auch nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern dem Lebensmittelgesetz.